6. Tag
Mittwoch, 9. Oktober 2002
Mt. Kenia (Pt. Lenana, 4895 m)

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2.00 Uhr: Aufstehen! Schlagartig macht sich hektische Aktivität breit. Ein Blick aus der Tür bringt die Erlösung: Es ist sternenklar! Heute kommt wirklich alles in die Seesäcke, was nicht unbedingt benötigt wird. Zum Frühstück gibt es Kekse und Porridge, dazu kleine Müsliziegel. Ich begnüge mich mit einigen Keksen und einer mitgebrachten Fruchtschnitte, die ich, immer noch etwas angeschlagen, in mich hineinwürge. Porridge wäre ja vielleicht ganz nahrhaft, aber schon der Gedanke an diesen bräunlichen Schleim löst fast einen Würgereiz aus.

Aufbruch. Zunächst nur leicht ansteigend folgt der Weg dem nördlichen Talhang nach Osten. Unsere Führer gehen ein angenehmes, nicht allzu langsames Tempo. Beim Kiboaufstieg werde ich diese Gangart im Nachhinein noch besonders zu schätzen wissen. Während des ganzen Aufstiegs verzichte ich auf Handschuhe. Weil ich keine Stöcke benutze, reicht es aus, die Arme vor der Brust zu verschränken um keine kalten Finger zu kriegen. Meine Ohren hingegen verlangen nach mehr Wärme. Aus im Nachhinein völlig unerfindlichen Erwägungen, hatte ich auf die Mitnahme einer normalen Mütze verzichtet und statt dessen nur Stirnband und Sturmhaube eingepackt. So ziehe ich jetzt die Sturmhaube aus der Anoraktasche um sie im Gehen mühsam unter Stirnband und Stirnlampe zu praktizieren.

Leider bietet sich bei dem kontinuierlichen Aufstieg kaum eine Gelegenheit, den traumhaften Sternenhimmel zu bewundern. Ich nehme mir vor, einmal um eine Pause von vielleicht fünf Minuten zu bitten, in der alle ihre Stirnlampen ausmachen und in Ruhe zum Himmel schauen können. Doch ich komme nicht dazu, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Eingekeilt in unsere dicht aufgeschlossen gehende Gruppe bietet sich auf dem schmalen Pfad keine Gelegenheit, schnell mal nach vorne zu gelangen um unseren Führern meinen Wunsch vorzutragen.

Mittlerweile, etwa ab 4500 m Höhe, gehen wir über Schnee, der dem ganzen Unternehmen einen hochalpinen Touch gibt. Der steiler werdende Weg wendet sich jetzt in eine mehr südliche Richtung und weicht auf diese Weise dem Hauptmassiv aus. Zaghaft wird der Himmel im Osten ein klein wenig heller. Erste Konturen der Bergumrahmung werden erkennbar. Kurz vor Sonnenaufgang erreichen wir die Austrian Hut, die wider Erwarten verschlossen ist. Wir hätten aber ohnehin nur aus Neugier mal hineingeschaut, denn der der Sonnenaufgang zieht uns so sehr in seinen Bann, dass Helmuts Aufforderung, wieder weiter zu gehen, fast schon störend ist. Von der Austrian Hut zieht ein zunächst breiter Rücken zum Point Lenana. Dieser Rücken wird bald schmaler und steiler, ist aber problemlos zu begehen. Weiter oben bleibt man auf der nördlichen (schattigen) Seite des Grates. Erst in Gipfelnähe gibt es schließlich ein paar Meter mit unschwieriger Blockkletterei. Endlich bekommt man auf dieser Riesenwanderung einmal Fels in die Finger.

Mit dem Betreten der Gipfelkuppe gelangen wir schlagartig vom Reich des Schattens in die Welt des Lichts. Die Sonne scheint von einem makellos blauen Himmel. Blendend gelaunt genieße ich den fabelhaften Ausblick, den man sich kaum schöner wünschen könnte. Im Norden lässt die kühne Gestalt des nahen Hauptgipfels keinen Zweifel daran, dass es sich hier nicht um einen Wanderberg handelt. In den anderen Himmelsrichtungen geht der Blick fast ungehindert in die Ferne, wo eine geschlossene Wolkendecke an das Bergmassiv brandet. Eher ernüchternd ist da schon Helmuts Hinweis, dass wir heute noch bis zum Rand dieser Wolkendecke absteigen müssen. Einer meint daraufhin, dann könne man nur hoffen, dass die Wolkendecke noch steigt. Früher als mir lieb ist, drängt er dann auch wieder zum Abstieg, dessen Dauer er mit nicht weniger als sechs Stunden veranschlagt. Aber auch dieser Abstieg belohnt einen zunächst mit grandiosen Landschaftseindrücken. Riesensenecien im Schnee vor einer wilden Bergkulisse, reizvolle Wiesenlandschaften mit kleinen Seen, ein mächtiger Canyon.

Zwei Stunden vielleicht, vielleicht aber auch weniger, ist uns die Sonne noch treu. Unsere Mittagsrast findet bereits bei bedecktem Himmel statt. Mein Appetit ist mäßig, wie die meisten von uns lungere ich etwas ermattet herum. So wird der weitere Abstieg eher monoton, bis wir nach weiteren drei Stunden im Regen unseren Zeltplatz auf etwa 3300 m erreichen. Kurz darauf döse ich im Schlafsack zufrieden vor mich hin. Später gibt es wie üblich Tee. Mit dem Abendessen kann sich der Koch ausnahmsweise keine Anerkennung verdienen. Das Rindfleisch ist so zäh, dass es den heutigen Abstieg als Schuhsohle fraglos überstanden hätte. Aber das sind Kleinigkeiten, die die Freude über das Erreichen unseres ersten Gipfelziels nicht schmälern können.

Von der Austrian Hut zum Lenana-Gipfel Der Nelion im Morgenlicht Die letzten Meter zum Gipfel
Freu(n)de Vom Lenana nach Norden Das Teleki-Tal
Blick nach Südwesten
Der Mt. Kenia Hauptgipfel (Nelion) Abstieg, Blick zurück Senecienweiher
Namenlose Berge In der Ferne der Hauptgipfel Ein letzter Blick zurück
 
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