2.00 Uhr: Aufstehen! Schlagartig
macht sich hektische Aktivität breit. Ein Blick aus der Tür
bringt die Erlösung: Es ist sternenklar! Heute kommt wirklich alles
in die Seesäcke, was nicht unbedingt benötigt wird. Zum Frühstück
gibt es Kekse und Porridge, dazu kleine Müsliziegel. Ich begnüge
mich mit einigen Keksen und einer mitgebrachten Fruchtschnitte, die ich,
immer noch etwas angeschlagen, in mich hineinwürge. Porridge wäre
ja vielleicht ganz nahrhaft, aber schon der Gedanke an diesen bräunlichen
Schleim löst fast einen Würgereiz aus.
Aufbruch. Zunächst nur
leicht ansteigend folgt der Weg dem nördlichen Talhang nach Osten.
Unsere Führer gehen ein angenehmes, nicht allzu langsames Tempo.
Beim Kiboaufstieg werde ich diese Gangart im Nachhinein noch besonders
zu schätzen wissen. Während des ganzen Aufstiegs verzichte ich
auf Handschuhe. Weil ich keine Stöcke benutze, reicht es aus, die
Arme vor der Brust zu verschränken um keine kalten Finger zu kriegen.
Meine Ohren hingegen verlangen nach mehr Wärme. Aus im Nachhinein
völlig unerfindlichen Erwägungen, hatte ich auf die Mitnahme
einer normalen Mütze verzichtet und statt dessen nur Stirnband und
Sturmhaube eingepackt. So ziehe ich jetzt die Sturmhaube aus der Anoraktasche
um sie im Gehen mühsam unter Stirnband und Stirnlampe zu praktizieren.
Leider bietet sich bei dem
kontinuierlichen Aufstieg kaum eine Gelegenheit, den traumhaften Sternenhimmel
zu bewundern. Ich nehme mir vor, einmal um eine Pause von vielleicht fünf
Minuten zu bitten, in der alle ihre Stirnlampen ausmachen und in Ruhe
zum Himmel schauen können. Doch ich komme nicht dazu, mein Vorhaben
in die Tat umzusetzen. Eingekeilt in unsere dicht aufgeschlossen gehende
Gruppe bietet sich auf dem schmalen Pfad keine Gelegenheit, schnell mal
nach vorne zu gelangen um unseren Führern meinen Wunsch vorzutragen.
Mittlerweile, etwa ab 4500
m Höhe, gehen wir über Schnee, der dem ganzen Unternehmen einen
hochalpinen Touch gibt. Der steiler werdende Weg wendet sich jetzt in
eine mehr südliche Richtung und weicht auf diese Weise dem Hauptmassiv
aus. Zaghaft wird der Himmel im Osten ein klein wenig heller. Erste Konturen
der Bergumrahmung werden erkennbar. Kurz vor Sonnenaufgang erreichen wir
die Austrian Hut, die wider Erwarten verschlossen ist. Wir hätten
aber ohnehin nur aus Neugier mal hineingeschaut, denn der der Sonnenaufgang
zieht uns so sehr in seinen Bann, dass Helmuts Aufforderung, wieder weiter
zu gehen, fast schon störend ist. Von der Austrian Hut zieht ein
zunächst breiter Rücken zum Point Lenana. Dieser Rücken
wird bald schmaler und steiler, ist aber problemlos zu begehen. Weiter
oben bleibt man auf der nördlichen (schattigen) Seite des Grates.
Erst in Gipfelnähe gibt es schließlich ein paar Meter mit unschwieriger
Blockkletterei. Endlich bekommt man auf dieser Riesenwanderung einmal
Fels in die Finger.
Mit dem Betreten der Gipfelkuppe
gelangen wir schlagartig vom Reich des Schattens in die Welt des Lichts.
Die Sonne scheint von einem makellos blauen Himmel. Blendend gelaunt genieße
ich den fabelhaften Ausblick, den man sich kaum schöner wünschen
könnte. Im Norden lässt die kühne Gestalt des nahen
Hauptgipfels keinen Zweifel daran, dass es sich hier nicht um einen Wanderberg
handelt. In den anderen Himmelsrichtungen geht der Blick fast ungehindert
in die Ferne, wo eine geschlossene Wolkendecke an das Bergmassiv brandet.
Eher ernüchternd ist da schon Helmuts Hinweis, dass wir heute noch
bis zum Rand dieser Wolkendecke absteigen müssen. Einer meint daraufhin,
dann könne man nur hoffen, dass die Wolkendecke noch steigt. Früher
als mir lieb ist, drängt er dann auch wieder zum Abstieg, dessen
Dauer er mit nicht weniger als sechs Stunden veranschlagt. Aber auch dieser
Abstieg belohnt einen zunächst mit grandiosen Landschaftseindrücken.
Riesensenecien im Schnee vor einer wilden Bergkulisse, reizvolle Wiesenlandschaften
mit kleinen Seen, ein mächtiger Canyon.
Zwei Stunden vielleicht, vielleicht
aber auch weniger, ist uns die Sonne noch treu. Unsere Mittagsrast findet
bereits bei bedecktem Himmel statt. Mein Appetit ist mäßig,
wie die meisten von uns lungere ich etwas ermattet herum. So wird der
weitere Abstieg eher monoton, bis wir nach weiteren drei Stunden im Regen
unseren Zeltplatz auf etwa 3300 m erreichen. Kurz darauf döse ich
im Schlafsack zufrieden vor mich hin. Später gibt es wie üblich
Tee. Mit dem Abendessen kann sich der Koch ausnahmsweise keine Anerkennung
verdienen. Das Rindfleisch ist so zäh, dass es den heutigen Abstieg
als Schuhsohle fraglos überstanden hätte. Aber das sind Kleinigkeiten,
die die Freude über das Erreichen unseres ersten Gipfelziels nicht
schmälern können.
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